Die Veranstaltung „Miteinander Schule gestalten — für ein positives (Körper)Selbstbild und zur Reduktion des Gewichtsstigmas“ vom 08. April 2024 war ein voller Erfolg. Mehr als 180 Pädagog*innen haben die Tagung - eine Kooperation von Institut Suchtprävention, pro mente OÖ und der pädagogischen Hochschule Oberösterreich - im Rahmen des FGÖ geförderten Projektes „Miteinander Schule gestalten“ - besucht. Im Generellen wurden zwei Schwerpunkte behandelt: zum einen wurde darauf eingegangen, warum es wesentlich ist, das Selbstbild und das Gewichtsstigma zu reduzieren und zum anderen wurden Vorschläge und Projekte vorgestellt, welche in der Schule umgesetzt werden können bzw. bereits umgesetzt wurden.
Der Eröffnungsvortrag wurde von Frau Dr.in Dagmar Pauli, Chefärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, zum Thema „Körperkult, Schönheitsdruck und Schlankheitswahn in gendersensiblen Zeiten“ gehalten. In diesem Vortrag wurde neben dem brisanten Thema Essstörungen auch auf die Thematik der Geschlechtsinkongruenz in Bezug auf den immer stärker werdenden Schlankheitsdruck an Schulen eingegangen.
Laut Frau Dr. Pauli müsse neben dem Individuum auch unserer Gesellschaft die Diagnose Essstörung, von welcher wir alle mehr oder weniger betroffen sind, gestellt werden. Diese Diagnose beinhaltet vor allem das restriktive Essverhalten (der Vorsatz weniger zu essen), welches oftmals in einem Kontrollverlust (Binge Eating, Bulimie etc.) endet. Auch die verzerrte Körperwahrnehmung, das übertriebene Schönheitsideal sowie die übertriebene körperliche Betätigung gehören hier dazu. Doch warum sind gerade junge Mädchen so gefährdet? In der männlichen Pubertät führt das Hormon Testosteron zur Produktion von Muskeln. Das aktuelle weibliche Schönheitsideal hingegen ist eher möglichst wenig weiblich und da in der weiblichen Pubertät der Fettanteil im Körper (Bauch, Hüfte, Oberschenkel) ansteigt, ist die Pubertät für viele junge Frauen eher durchwachsen. Erschwerend kommt hier laut Frau Dr. Pauli auch der Einfluss von Social Media hinzu, da der Konsum einen Einfluss auf das Selbstwertgefühl in Bezug auf das Körperbild hat.
Studien aus der Schweiz belegen, dass der Anteil an Jugendlichen, welche ihr Gewicht als passend einstufen, abgenommen hat und weiter abnimmt. Im Gegensatz dazu ist keine Zunahme von übergewichtigen und adipösen Jugendlichen festzustellen - lediglich die Orthorexie (der Drang das „Richtige“ zu essen) nimmt großen Einfluss auf das eigene Verhältnis zum Körperbild und führt vermehrt zu Essstörungen. Hierzu kommt, dass vor allem jene Menschen, welche sich vermehrt mit dem Gedanken ans Essen beschäftigen und sich darauf fixieren, sind häufiger übergewichtig und geraten schneller in eine Essstörung. Vor allem Diäten bei jungen Menschen bergen ein großes Risiko.
Ein weiterer Meilenstein in der Pubertät ist nicht nur die körperliche Veränderung, sondern auch die Definition der Geschlechtszugehörigkeit. Der Anteil an LGBT nimmt zu und jene die sich divers entwickeln, stehen nicht mehr allein da. Auch hier spielt Social Media eine große Rolle und kann teilweise zu Unverständnis führen. Jugendlichen stellen sich dabei oft die Frage „Wer bin ich bzw. bin das ich, kann ich das sein?“. Entsteht eine Geschlechtsinkongruenz, führt diese oftmals zu psychischen Belastungen, welche sich in Suizidalität/Selbstverletzung, Angststörungen und/oder Essstörungen zeigen. Proaktive Faktoren, wie gute Unterstützung im Umfeld durch Familie und Peers, geringere erlebte Transphobie und soziale Transition verringern das Risiko. Wichtig ist dabei laut Frau Dr. Pauli offenes Interesse zu bekunden und nachzufragen, wie sich der/die Jugendliche identifiziert. Auch die Schule kann einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie eine Nulltoleranz-Politik bei Diskriminierungen durch Peers (aufgrund von Körperformen oder sexueller Orientierung, Geschlecht oder anderem) etabliert, einseitige Prävention zum Beispiel in Bezug auf Adipositas / Essstörungen vermeidet und sich mehr auf positive Inhalte bezieht und das Selbstwertgefühl fördert. Zudem ist die Selbstreflexion der Schule hinsichtlich ihrer Einstellung zu Diversität (Körperformen, Geschlechter, Geschlechtsidentitäten, sexuelle Orientierungen) ein maßgeblicher Faktor in der Prävention. Ebenso sind vor allem für vulnerable Jugendliche aufklärende Einheiten über Körper, Sexualität und Geschlecht im Unterricht hilfreich.
Im zweiten Vortrag drehte sich alles um das Thema „Es muss einfach alles perfekt sein“. Frau Dr.in Maya Götz, Medienwissenschaftlerin, Medienpädagogin, München, Leiterin des internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI des Bayrischen Rundfunks, gab einen spannenden Einblick zur Selbstdarstellung auf sozialen Netzwerken zwischen Empowerment und Einengung. Behandelt wurden unter anderem Themen wie die Selbstinszenierung auf Instagram – einerseits von den Jugendlichen selbst und auch von den Influencer*innen und wie sich dies auf die Jugendlichen auswirke. Zusammenfassend kann hier gesagt werden, dass gerade die jungen Mädchen bearbeitete und veränderte Bilder und Fotos oft schöner finden als das Original – auch wenn diesen bewusst sei, dass das Medium beispielsweise mittels eines Filters verändert wurde. Des Weiteren wurde angemerkt, dass die vermehrte Instagram Nutzung bei jungen Frauen mit depressiven Symptomen, einem niedrigen Selbstwertgefühl und Körperunzufriedenheit korreliere. Dabei habe es keinen Einfluss, wie oft oder wie lange die Inhalte konsumiert werden bzw. wurden. Wenig hilfreich sei es laut Frau Dr. Götz den Jugendlichen Filter an die Hand zu geben, sie darüber aufzuklären (Instagram vs. Reality) oder Body Positivity Angebote anzubieten. Eines der wenigen Dinge, die helfen können, so Götz, sei das Wissen um feministische Inhalte und die Notwendigkeit von Gleichstellung sowie sich mit Medien (www.meintestgelaende.de) auszudrücken.
Mag. Christian Putscher, Ernährungswissenschafter, Personal Trainer und Lifestyle Coach schilderte in seinem mitreißenden Vortrag, wie man den eigenen Körper besser verstehen kann. Dazu erörterte er den Zusammenhang der Anlage, also der Gene, welche der Mensch von der Mutter wie auch dem Vater mitbekommt, mit dem Anlegen, also dem täglichen Tun. Die Eltern sind somit genetisch der Maßstab bei der Erreichung der körperlichen Ziele. Veranschaulicht durch ein Beispiel, erhielt Putscher auch noch vor der Mittagspause die volle Aufmerksamkeit: „Wenn ich trainiere und esse wie Marcel Hirscher – kann ich dann auch so gut Skifahren?“. Wichtig sei ihm dabei vor allem, dass den Kindern und Jugendlichen das Wissen über die Hormone und deren Bedeutung in der Pubertät mitgegeben werde und nicht die Funktionsweise des Algorithmus von Instagram. Vor allem komme es auch darauf an, dass die Ernährungsform in erster Linie vorgelebt werde und die beste Ernährungserziehung ohne Worte auskomme. Denn schon Kinder vor dem Kindergarten wissen was ungesund und was gesund ist und vor allem was ihnen schmeckt und was ihnen nicht schmeckt. Daher komme es laut Putscher bei der Jause nicht auf Diversität, sondern auf die Nährstoffe an – vor allem dann, wenn Kinder dringend Energie benötigen: beim Lernen, beim Spielen, bei Stress, in der Bewegung und beim Wachstum.
Die Vorstellung des Projektes „miteinander Schule gestalten“ wurde von Frau Mag.a Dr.in Ekim San (Gesundheit Österreich GmbH, Fonds Gesundes Österreich) und Herrn Dr. Rainer Schmidbauer (Leitung Institut Suchtprävention, pro mente OÖ) übernommen. Das Projekt wurde beim damaligen Call am Kompetenzzentrum Gesundes Österreich eingereicht und in den Projektpool aufgenommen. Das Kompetenzzentrum setzt in erster Linie diverse Aktivitäten um, unter die unter anderem die Förderung psychosozialer Gesundheit von jungen Menschen fällt. Sie wollen immer auf dem neuesten Stand sein – melden Sie sich zum Newsletter auf www.wohlfuehlpool.at an! Anschließend weist Herr Dr. Schmidbauer darauf hin, dass es sich hier laut den aktuellen Forschungsdaten um ein Mega-Thema handle. Denn immer mehr Jugendliche, aber auch Erwachsene sind mit ihrem Körperbild unzufrieden. Aus diesem Grund wurde das Projekt „Miteinander Schule gestalten — für ein positives (Körper)Selbstbild und zur Reduktion des Gewichtsstigmas“ ins Leben gerufen.
Anschließend gaben uns Ines Brunhuber, BSc, BEd, Pädagogin an der Mittelschule Marchtrenk und Dr. Dietmar Bruckmayr, Präsident des OÖ Boxverbandes einen Einblick in ihre spannende Auseinandersetzung mit diesem Thema. Frau Brunhuber, BSc, BEd bezog die Kinder stark in die Gestaltung der Workshops mit ein und entwickelte mit den Jugendlichen unter anderem kurze Videoclips zur Vermarktung von gesunden Produkten. Im weiteren Verlauf des Projektes drehte sich alles um Bewegung und die richtige Ernährung danach. Dazu wurde ein Projekt-Nachmittag ins Leben gerufen und gemeinsam gekocht. Außerdem erörterte Frau Brunhuber, BSc, BEd mit den Jugendlichen die Fragen, ob Schönheitsoperationen und der Besuch des Fitnessstudios ab 16 Jahren erlaubt sein sollten. Zu der Thematik, ob das Fitnessstudio erlaubt sein sollte, lieferte uns Herr Dr. Bruckmayr einen interessanten Denkanstoß. Dr. Bruckmayr habe schon des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche in seinen Boxeinheiten mit vermeintlichem Fachwissen und fragwürdigen Techniken erschienen. Auf die Frage hin, woher sie denn dies hätten, antworteten sie, dass sie diese von YouTube bzw. diversen Influencer*innen haben. Gerne lässt er die Jugendlichen alles ausprobieren und vor allem erleben, dass es meist nicht stimmig ist, was ihnen von ihren Vorbildern beigebracht wird. Dr. Bruckmayr ist der Meinung, Kinder und Jugendliche schon früh an sportliche Aktivitäten – auch den Besuch des Fitnessstudios – heranzuführen. Wichtig sei ihm dabei die professionelle Anleitung – denn andernfalls übernehmen Influencer*innen mit oft sinnlosen Videos.
Ein weiteres spannendes Projekt stellte uns Mag. Roland Lehner vom Institut Suchtprävention, pro mente OÖ vor: ein digitales escape game namens „working sober“. Der dahinterliegende Ansatz behandelt das produktive Auseinandersetzen mit der Suchtprävention. Jugendliche werden dazu angehalten, die digitalen Medien zu nutzen und den Umgang mit ihnen zu verstehen. Das Spiel dreht sich um das Thema Fortgehen und Alkohol - die Spiele und Rätsel wurden ausschließlich von Jugendlichen (Lehrlingen) kreiert. Sie werden dazu angehalten nachzudenken, was muss ich alles mitnehmen, was ist beim Vorglühen zu beachten – im Grunde sollen sie bewusst fortgehen, ihre Handlungen vorab überdenken und somit gesund und wohlbehalten wieder zurückkommen, um im Lehrlingssetting wieder fit in den Tag starten zu können.
Mag.a Violetta Palka, vom Institut Suchtprävention, pro mente OÖ stellte sich die Frage, wie das positive Körperselbstbild in eine geschichtliche Umsetzung gebracht werden kann. Folgende Umsetzung entwickelte sich daraus: Positives (Körper)Selbstbild „First Date“. Ziel hierbei ist, dass sich die Jugendlichen über diverse Mini-Games in die Thematik hineinversetzen können. Unter anderem wurden die Themen Flirt-Vokabeln, red und green flags (früher Do‘s und Dont‘s), That Girl/Alphamänner und die Veränderungen, welche eine Beziehung mit sich bringt, umgesetzt. Frau Mag.a Palka bietet hierzu Workshops für Schulen sowie Vorträge für Eltern an. Buchbar sind Herr Dr. Bruckmayr sowie die Unterrichtseinheiten zu „First Date“ unter info(at)praevention.at.
Anschließend daran erörterte Mag. Peter Eberle, MA vom Institut Suchtprävention, pro mente OÖ den Zusammenhang zwischen den sozialen Netzwerken und dem Körperbild und stellte Übungen und Ideen zur Verfügung. Hauptsächlich drehte es sich um die Thematik der kritischen Auseinandersetzung im Unterricht mit der medialen Darstellung von Körperidealen sowie kolportierten Diät- und Bewegungsempfehlungen (z.B. durch Influencer*innen). Ausgewählte Korrelationsstudien gaben dabei einen Einblick, wie die verbrachte Zeit, die Häufigkeit des Aufrufens des Accounts und die Anzahl der Freunde mit Themen wie der Körperüberwachung, gestörten Essverhalten sowie der Internalisierung von Schönheitsidealen in Verbindung stehen. Jugendliche fühlen sich dadurch zunehmend unter Druck gesetzt. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Vortrages war die Betrachtung der Algorithmen. Als Beispiel wurde hier TikTok angeführt und wie schnell auf die Präferenzen eines Users eingegangen werden. Innerhalb von 36 Minuten wird entsprechend separiert und die Inhalte zeigen zu 93% präferenzierte Videoclips – die restlichen 7% sind Werbevideos. Algorithmen können zurückgesetzt werden: SaferInternet Privatsphäre-Leitfaden.
Mag. Eberle stellte im weiteren Verlauf den Zusammenhang zwischen der Objektifizierung von Geschlechtern, den Eigenschaften von sozialen Medien und dem Entwicklungsprozess von Jugendlichen dar. Daraus resultierend ergibt sich eine Medienerfahrung, die die Konzentration auf das physische Erscheinungsbild legt. In weiterer Folge ergebe sich daraus ein Aufwärtsvergleich, der die Kognition und Sorgen um das Körperbild erhöhen und in einer Belastung für die psychische Gesundheit enden. Präventionsansätze dazu sind eingebettet in den generellen Lebenskompetenzansatz der WHO und werden vom Institut Suchtprävention sowohl für die Elementar- als auch die Primarstufe sowie für die Sekundarstufe I und Sekundarstufe II angeboten.
Eine weite Anreise aus Südtirol nahmen Evi Ploner, BA und Melanie Kücking vom Forum Prävention, Südtirol in Kauf um die Kampagne gegen Kommentare zum Körper „respect every-body“ vorzustellen. Körperkommentare stehen in direktem Zusammenhang mit Mobbing und der Entwicklung einer Essstörung. Laut ihren Erfahrungen zu dieser Thematik sind Kommentare zum Körperbild entweder der Beginn eines Leidensweges oder tragen zur Verschlimmerung eben dieses bei. Ziel dieser Kampagne ist, keine Statements mehr über den eigenen Körper erhalten zu müssen. Die generelle Mission sei zudem, die Mitmenschen zu sensibilisieren und zu stärken, indem sie Grenzen setzen und Tipps für den Umgang damit erhalten. Ausführliche Informationen zu den Online-Schulungsterminen für Multiplikator*innen sind auf der Homepage des Institut Suchtprävention unter Respect abzurufen.
Zusammenfassend lässt sich über die Thematik der Tagung sagen, dass die Jugendlichen nicht vor dem Einfluss der sozialen Medien hinsichtlich ihres Körperbildes geschützt werden können. Weitaus wichtiger ist hier der Aspekt der sinnvollen Prävention. Anhand der gezeigten Beispiele, Workshops, Kampagnen uvm. wurde den Teilnehmenden ein breites Spektrum an die Hand gegeben. Für Fragen zum Thema bzw. zu den Workshops und Seminaren steht das Team des Institut Suchtprävention unter info(at)praevention.at gerne zur Verfügung.