Zum zweiten Mal in Folge haben wir unsere jährliche Jugendtagung als Online-Event veranstaltet. Und einmal mehr durften wir uns auch dieses Mal über eine hohe Teilnahmebeteiligung einerseits, und ausnahmslos hochinteressante Beiträge andererseits freuen. Knapp 260 Personen, vorwiegend aus dem Bereich Jugendarbeit, beteiligten sich am 3. Mai 2022 via Zoom und YouTube-Livestream an der Veranstaltung, die gemeinsam mit dem Verein I.S.I. und dem Medienzentrum WienXtra als Kooperationspartner organisiert wurde. Durch das Programm führte in charmant-bewährter Weise das Moderatoren-Duo Herbert Baumgartner (Institut Suchtprävention, pro mente OÖ) und Christine Rankl (Verein I.S.I.).
Im Mittelpunkt der Tagung stand heuer das Thema „Normierte Jugend?“. Der erste Teil der Veranstaltung beschäftigte sich inhaltlich mit Körperbildern, die via Social Media als „ideal“ vermittelt werden und die eine wesentliche Rolle in der Identitätsentwicklung spielen, vor allem von weiblichen Jugendlichen. Diese Bedeutung strich Maya Götz, die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk, anhand vieler anschaulicher Beispiele und auch anhand eigener Studien hervor. So finden viele Mädchen Bilder, die mit Körperbild-Filtern verändert wurden schöner und natürlicher als realistische Fotos, selbst wenn sie wissen, dass diese digital verändert wurden. Dieses Streben nach einem perfekten Körperbild verleitet natürlich auch dazu, die eigenen Fotos, die gepostet werden, entsprechend zu bearbeiten, sodass die Taille schmaler, der Körper größer, die Zähne weißer und die Haut makellos erscheint. Nicht verwunderlich ist daher, dass nun auch wissenschaftlich ein Zusammenhang belegbar ist zwischen einer vermehrten Instagram-Nutzung und jungen Frauen mit depressiven Symptomen, einem niedrigen Selbstwertgefühlt und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Zudem hatten laut einer Untersuchung des IZI bekannte Influencerinnen wie Pamela Reif, Heidi Klum oder Lena Gercke bei jungen Frauen einen zum Teil großen Einfluss auf die Entstehung einer Essstörung.
Mit dem Druck, attraktiv sein zu müssen, der auf vielen Jugendlichen lastet, hat sich auch die Südtiroler Pädagogin und Psychologin Raffaela Vanzetta, Leiterin der Fachstelle für Essstörungen INFES im Forum Prävention in Bozen beschäftigt. Sie bot Einblicke in die virtuelle Welt bekannter Influencer*innen und konnte den Teilnehmer*innen der Tagung sehr gut vermitteln, wie der zunehmende Konsum von sozialen Medien eine innere Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben auslösen kann. Wie Maya Götz wies auch Raffaela Vanzetta auf die gestiegene Bedeutung von Social Media Inhalten für das Selbstbild von Jugendlichen hin. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Beide Expertinnen zeigten aber auch Strategien auf, um ein positives Verhältnis zum eigenen Körper aufzubauen zu können und um sich nicht von falschen Schönheitsidealen unter Druck gesetzt zu fühlen. Wichtig sei demnach immer auch der Blick der Erwachsenen und deren Begleitung in der digitalen Welt von Kindern und Jugendlichen. Dazu zählt beispielsweise das Aufzeigen von sinnvollen Alternativen, auch auf Social Media. Beispiele für medienpädagogische Ansätze sind etwa die kritische Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen, die Wertschätzung des eigenen Körpers, aber auch die Werte und Persönlichkeiten von Influencer*innen genauer unter die Lupe zu nehmen. Abgeschlossen wurde der erste Teil der Präsentationen mit einem Einblick in ein Praxisprojekt der Wiener Gesundheitsförderung mit dem Titel „Ich bin schön". Umgesetzt wurden diese Workshops für Jugendliche von der Einrichtung „queraum. kultur- und sozialforschung“ und dem WIENXTRA-Medienzentrum. Elisabeth Mayr (queraum) und Hannes Heller (WienXtra) erläuterten in einem kurzen Input und anhand eines von Jugendlichen selbst produzierten Medienbeitrags die wertvolle Arbeit im Rahmen dieser Kreativ-Workshops, bei dem sich junge Mädchen und Burschen in Wien mit stereotypen Schönheitsidealen und Körpernormen auseinandergesetzt haben.
Nach einer kurzen Pause durften wir mit Barbara Buchegger die pädagogische Leiterin der Initiative Saferinternet.at begrüßen, die den Teilnehmer*innen aktuelle Trends der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen vorstellte. Dazu zählen derzeit u.a. die Dienste TikTok und Discord, die beide während der Corona-Pandemie einen großen Aufschwung erlebt haben. Erstmals im jährlich erhobenen Jugend-Internet-Monitor befindet sich aber auch die Spieleplattform „Roblox“. Gemeinsam ist diesen virtuellen Plattformen, dass sie von Kindern und Jugendlichen als „digitaler Raum zum Abhängen“ verstanden und genutzt werden. Primäres Ziel ist dabei die Unterhaltung, aber auch, sich miteinander zu unterhalten. Wie beim Thema Körperbild ist laut Barbara Buchegger auch im Unterhaltungssektor der Einfluss von Bildern mindestens genauso hoch. Sie betonte dabei, dass Plattformen wie TikTok neben den Schattenseiten auch sehr viele hilfreiche und gute Inhalte für Jugendliche bieten, wie z.B. im Bereich der Sexualpädagogik. Im weiteren Verlauf des Beitrags wurden Einblicke in die Spieleplattform Roblox geboten, die auch von jüngeren Kindern genutzt wird. Bei beiden Diensten gibt es zahlreiche nützliche und unterhaltsame Inhalte und viel kreativen Spielraum, aber auch Gefahrenpotenziale, wie etwa bezahlpflichtige Items oder Gruppen, die von Parteien oder anderen, weniger zuordenbaren Personen für ihre Interessen gesteuert werden. Ein Trend, der laut Barbara Buchegger in den vergangenen Jahren zu beobachten war, ist die Tatsache, dass Jugendliche viele unterschiedliche soziale Netzwerke nutzen, und sich dabei auch überlegen, was sie wo machen. Dieser Diversität steht dabei eine zunehmende Normierung der Sprache (Stichwort „YouTube-Deutsch“) gegenüber.
Den Abschluss der Jugendtagung 2022 bildete der Suchtmediziner Christian P. Müller von der Uni Erlangen-Nürnberg, der sich in seinem Beitrag dem Thema des instrumentellen Substanzkonsums widmete und dabei folgender Frage auf den Grund ging: Warum konsumieren Menschen, wenn sie nicht von einer Sucht getrieben werden, regelmäßig psychoaktive Substanzen? Prof. Müller veranschaulichte dies anhand des psychologischen Konzepts des „Mental state“, der den Arbeitszustand unseres zentralen Nervensystems beschreibt. Dieser Zustand, landläufig bekannter unter dem Begriff „Laune“, verändert sich permanent und lässt sich auch gezielt verändern, entweder natürlich, etwa durch sportliche Aktivität oder Entspannung, Schlaf usw. oder durch den Konsum von Substanzen, die Einfluss auf die Aktivität der modulatorischen Botenstoffe im Gehirn (Dopamin, Serotonin, etc.) ausüben. Wichtig sei dabei laut Prof. Müller zu wissen, dass es sich stets um einen zweiteiligen Prozess handle, der einerseits den zielgerichteten Konsum beinhalte, andererseits die verbesserte Ausführung eines bestimmten Verhaltens. Diese Fähigkeit sei keineswegs neu, sondern beruhe auf einem evolutionären Ursprung der Nahrungsaufnahme des Menschen. Jedoch können nicht alle Verhaltensweisen in ihrer Effizienz durch eine Drogen-Instrumentalisierung verbessert werden. Bislang konnten anhand von Studien neun bis zehn solcher Verhaltenskomplexe identifiziert werden. Dazu zählt beispielsweise die bekannte Wirkung von kleinen Dosen Alkohol, die eine soziale Interaktion erleichtern können. Wird eine Form des regelmäßigen Substanzkonsums etabliert und erfolgt dann eine Erhöhung der Dosis bzw. der Frequenz des Konsums mit dem Ziel, die Instrumentalisierbarkeit der Drogenwirkung zu steigern, kann dies jedoch schnell ins Gegenteil kippen und eine so genannte „Überinstrumentalisierung“ bewirken, die in weiterer Folge in eine Sucht bzw. in ein abhängiges Verhalten abgleiten kann.
Fazit zur Jugendtagung 2022
Wir freuen uns über die vielen positive Rückmeldungen und darüber, dass wir ein weiteres Mal auf eine gelungene Online-Weiterbildungsveranstaltung zurückblicken können, die weit über den Außerschulischen Jugendbereich hinaus viele interessante, aufschlussreiche Beiträge und Diskussionen geboten hat.