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QUELLE: http://www.praevention.at

20.11.2018

Thema „Zuvielisation“: Wieso weniger mehr ist

Prof. Dr. Thomas Mohrs bei seinen Ausführungen

Institutsleiter Christoph Lagemann moderierte die Veranstaltung

Fixer Bestandteil jeder "Thema"-Veranstaltung: Die alkfreien Barfuss Cocktails

Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Thema“ setzte sich am 19.11.2018 Thomas Mohrs, Philosoph und Experte für Allgemeine und Angewandte Ethik, mit dem Begriff der „Zuvielisation“ auseinander. Knapp 180 Personen aus dem Bereich Bildung, Sozialarbeit, Polizei, Politik und Verwaltung verfolgten die Ausführungen von Prof. Mohrs, der sich immer wieder Anlehnungen aus unterschiedlichen Zeitepochen nahm, um daraus auf aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen Bezug zu nehmen. So zum Beispiel auf den Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm, der „die Gier“, als  „einen Ausdruck der inneren Leere“ bezeichnete. Was er damit meinte: Wenn man nicht zufrieden ist mit dem, wer und wie man ist, wenn man nicht „bei sich“, sondern von sich selbst entfremdet ist, neigt man leicht dazu, dieses Selbstzufriedenheitsdefizit zu kompensieren, sei es durch Hab-Sucht, Herrsch-Sucht, Konsum-Sucht oder/und auch durch die „Flucht“ in den Rausch, die Droge.

Mohrs stellte in der Folge die Frage, ob dieses Phänomen der „Entfremdung“, die in der Gier zum Ausdruck kommt, nicht nur ein individuelles, sondern ein kollektives, ein soziokulturelles sein kann, dass ein ganzes Gesellschaftssystem betroffen ist? Als Beispiel dafür beschrieb er das Konzept des „Earth Overshoot Day“ (bzw. „Erderschöpfungstag“), also jener Tag des Jahres, an dem wir (als Menschheit) die Ressourcen verbraucht haben, die eigentlich weltweit für ein ganzes Jahr zur Verfügung stünden. Dieser „Earth Overshoot Day“ lag im Jahr seiner ersten Berechnung  1987 am 19. Dezember. Im Jahr 2018 lag er am 01. August. Und wenn alle Menschen auf der Erde im Durchschnitt so leben würden wie die Einwohner/innen Österreichs, läge er sogar im April. Und wir bräuchten 3 Planeten, um den Ressourcen- und Energiebedarf zu decken.

Auf die Frage, warum wir als Gesamtgesellschaft über unsere Verhältnisse leben, obwohl wir wissen, dass dieser Lebensstil auf Dauer nicht praktikabel sein kann, liefert laut Professor Mohrs womöglich die Philosophische Anthropologie Erklärungsansätze: Zum einen neigen wir Menschen dazu, uns mit anderen zu vergleichen, und zwar nicht selten mit dem, was andere haben. Und was der andere hat, wollen wir auch haben  – Girard nannte diesen Impuls das „mimetische Begehren“. Hinter dieser Neigung zum Vergleich und der mimetischen Hab-Gier steht vermutlich ein anderer anthrologischer Wesenszug, nämlich der Wunsch nach Zugehörigkeit. Wir wollen uns zwar auch von anderen abheben, „besonders“ sein, wollen aber gleichzeitig dazugehören, kein Außenseiter sein, erst recht kein uncooler Loser, der abgehängt ist und sich nicht leisten kann, was gerade als „must have“ angesagt ist. Und wenn die Rahmenbedingungen passen, schaukelt sich dieses „Spiel“ der sich gegenseitig anstachelnden Begehrlichkeiten bis zu einem Niveau hoch, das – mittel- und längerfristig gesehen – eigentlich für alle negativ bzw. sogar selbstzerstörerisch ist.

Doch wie können wir als Gesellschaft aus diesem Irrweg wieder herausfinden? Möglicherweise mit dem Prinzip der Mäßigung, dass schon in der griechischen Antike als eine der Kardinaltugenden galt. Epikur, der wohl bekannteste Vertreter des Hedonismus, der Philosophie der Lust, hielt fest: „Willst du einen Menschen glücklich machen, so vermehre nicht seine Habe, sondern verringere seine Bedürfnisse.“ Das bedeutet laut Thomas Mohrs keineswegs, dass man asketisch leben soll, aber dennoch erscheint es im Hinblick auf unsere „Zuvielisation“ als durchaus ratsam, sich auch heute an solchen uralten Einsichten zu orientieren und – in unserem eigenen mittel- und längerfristigen Interesse – zum „menschlichen Maß“ zurückzukehren.

Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Thomas Mohrs wurden noch Fragen, die sich aus dem Vortrag ergaben, im Plenum diskutiert. Den Abschluss bildete traditionsgemäß die "Barfuss", die im Foyer mit geschmackvollen alkoholfreien Cocktails aufwartete.

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