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QUELLE: http://www.praevention.at

20.06.2017

Smartphone-Nutzung am Arbeitsplatz: „Die sind doch alle süchtig, oder?“

Problemfelder rund um die Nutzung von Smartphones am Arbeitsplatz gibt es viele – Sucht ist dabei jedoch nur ein Randthema. Den Begriff „Smartphone-Sucht“ gibt es als medizinische Diagnose nicht. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird jedoch immer mehr die Existenz einer „Internetsucht“ diskutiert und dabei die Nähe zur Spielsucht betont. Orientierung können u.a. die Kriterien nach Tao et.al (2010) bieten. Sie charakterisieren eine Internetabhängigkeit durch eine

  • exzessive Beschäftigung mit dem Internet, welche zu Beeinträchtigungen in Beruf und Sozialleben führt.
  • Darüber hinaus kommt es zu Entzugserscheinungen, wenn das Internet nicht genutzt wird.

Sind diese beiden Kriterien erfüllt und darüber hinaus noch eines der folgenden, kann von einer Internetabhängigkeit gesprochen werden:

  • Toleranzentwicklung: es werden immer längere Zeiten im Internet verbracht
  • Wunsch oder erfolgloser Versuch, die Internetnutzung zu kontrollieren bzw. zu verringern
  • Exzessive Nutzung des Internets trotz negativer körperlicher und sozialer Folgen
  • Interessensverlust an anderen Freizeitaktivitäten
  • Nutzung des Internets, um negative Gefühle zu regulieren


Rechnet man die Ergebnisse einer deutschen Studie hoch, kann man für Österreich von 57.000 internetabhängigen Personen ausgehen. Das entspricht in etwa einem Prozent der 14-64-Jährigen.
Das Smartphone stellt einen ständig verfügbaren „Internetzugang in der Hosentasche“ dar, der laut der „Menthal-Balance“ Studie der Uni Bonn am wenigsten zum Telefonieren (durchschnittlich 7 Minuten pro Tag), manchmal für Apps zum Ticketkauf, Onlinebanking usw. (durchschnittlich 10 Minuten pro Tag) und hauptsächlich für Social Media wie Facebook, für Messenger wie WhatsApp und für Spiele verwendet wird (über 2 Stunden täglich).

Am Arbeitsplatz ist nicht so sehr das Thema Sucht relevant, sondern andere von Smartphone- bzw.  Internetnutzung berührte Aspekte.

„Smartphone-Knigge“ und Arbeitsrecht:  Viele Konflikte rund ums  Smartphone wären vermeidbar, würden sich alle an ein paar Regeln halten, wie z.B. das Handy im Job auf lautlos stellen, es bei Besprechungen in der Tasche lassen, private Telefonate nicht unbedingt im gemeinsamen Büro führen und sich genau an die Vorgaben bezüglich privater und dienstlicher Nutzung von Geräten halten.
Das Recht auf telefonische Erreichbarkeit der MitarbeiterInnen ist meist durch ein Firmentelefon gegeben, es besteht arbeitsrechtlich kein Anspruch auf  online- Erreichbarkeit bzw. Nutzung von  Facebook, WhatsApp und Co!


Arbeitssicherheit: Es gibt Tätigkeiten, bei denen der regelmäßige Blick aufs Smartphone (im Schnitt 88 Mal pro Tag) eine Gefährdung der Arbeitssicherheit bedeutet.

Experimente mit Fahrsimulatoren an der Universität Utah zeigen, dass die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitigem Telefonieren bzw. Verfassen von Nachrichten um mindestens 40 % sinkt – vergleichbar mit den Beeinträchtigungen bei einer Alkoholisierung. Die Begrenztheit der multitasking-Fähigkeiten des menschlichen Gehirns ist mittlerweile wissenschaftlich vielfach belegt. Vor einigen Monaten kam es zu einem folgenschweren Zugunglück in Bayern. Bei der Überprüfung stellte sich heraus, dass der Fahrdienstleiter zum Unfallzeitpunkt auf seinem Handy spielte.


Psychosoziale Belastungen durch technologische Entwicklungen:

  • Infoflut & Beschleunigung von Arbeitsprozessen: Die Digitalisierung veränderte unsere Arbeitswelten grundlegend. Es braucht die Kompetenz, Prioritäten zu setzen und nicht auf alles und sofort zu reagieren.
  • Multitasking & Unterbrechung: Aus der Flow-Forschung weiß man, dass es ca. 15 Minuten dauert, bis man in einer Aufgabe mit voller Konzentration vertieft ist, sein Potential ausschöpft und dabei  Befriedigung empfindet.  Der ständige Blick aufs Smartphone ist diesbezüglich hinderlich. Wichtig ist, sich selbst immer wieder Phasen der Abstinenz zu verordnen  - auch, um Konzentrationsstörungen und Erschöpfung vorzubeugen.
  • Die Grenzen zwischen Arbeit und privat verschwimmen: Sich am Sonntag Abend von zu Hause aus einen Überblick über anstehende Aufgaben zu verschaffen oder bei Schönwetter am See nur schnell die wichtigsten Emails zu schreiben, kommt dem Wunsch vieler ArbeitnehmerInnen nach Flexibilität entgegen. Die Kehrseite der Medaille heißt ständige Verfügbarkeit, Nicht-Abschalten-Können oder -Dürfen.
  • Digitaler Präsentismus: manche MitarbeiterInnen verspüren den Drang, ständig digitale Spuren zu hinterlassen, um Präsenz zu zeigen und das berufliche Vorankommen zu fördern. Unternehmen sind gut beraten, die diesbezügliche Kultur in sinnvolle Bahnen zu lenken.


Digital Policy

Fragen rund um Chancen und Herausforderungen digitaler Medien werden uns in Zukunft – auch im Arbeitsleben – sicher noch stark beschäftigen. Auf dem Weg zu einer effizienten, bewussten und gesunden Nutzung digitaler Medien ist viel Eigenverantwortung gefordert. Es braucht aber auch Auseinandersetzung und Steuerung im Unternehmen. Dann können die vielen nützlichen und inspirierenden Aspekte digitaler Medien ihre Wirkung entfalten. Denn noch nie war es so einfach, in Echtzeit, über räumliche Grenzen hinweg und interaktiv zu kommunizieren,  Wissen zugänglich zu machen und zu multiplizieren, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und Unterstützung durch online-Communities zu erhalten.  

Quellen und weiterführende Infos:

Markowetz, Alexander: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. Knaur Verlag, 2015

Menthal-Balance Studie: https://www.hrz.uni-bonn.de/de/services/mobile-endgeraete/wissenswertes/app-warnt-vor-abhaengigkeit-vom-handy

Problematischer Medienkonsum:  http://www.praevention.at/sucht-vorbeugung/verhaltenssuechte/problematischer-medienkonsum.html

Factsheet Sucht: http://www.praevention.at/infobox/factsheet-sucht.html

 

Text: Mag. Rosmarie Kranewitter-Wagner

Foto: Pixabay.com lizenziert unter CC0 Public Domain