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22.03.2018

Nachlese zur Jugendtagung 2018

Der große Hörsaal 1 an der FH OÖ in Linz war bis auf den letzten Platz belegt. Über 200 Personen nahmen an der Jugendtagung 2018 teil.

Über 200 Personen, vorwiegend aus dem Bereich Jugendarbeit, aber auch aus vielen anderen Bereichen wie etwa Pädagogik, Lehrlingsausbildung und Polizei, nahmen an der jährlichen Jugendtagung von Institut Suchtprävention und Verein ISI am 20. März 2018 an der FH Linz teil. Das Thema der diesjährigen Veranstaltung lautete „Kryptomärkte, Infotainment & Prävention“. Das Programm der Tagung bot eine interessante Mischung an Beiträgen zu brandaktuellen Themen wie den Online-Drogenhandel und dessen strafrechtliche Folgen, die weniger die Händler, sondern meist die Konsumenten zu tragen haben. Weitere Themen waren eine Diskussion um Chancen und Risiken so genannter „Drug Channels“ auf Youtube & Co., die Herausforderungen professioneller Jugendarbeit in Zeiten der Digitalisierung sowie die Präsentation einer Wiener Streetwork-Präventionskampagne gegen radikalen Fanatismus.

Den Auftakt der Tagung gestaltete der bekannte Jugendforscher und Kommunikationsexperte Mag. Bernhard Heinzlmaier (t-factory, Hamburg, Institut für Jugendkulturforschung Wien), der sich mit dem Thema „Digitale Kommunikation“ auseinandersetzte und dabei einige zentrale Aspekte hervorstrich. Digitale Kommunikationskanäle wie Twitter, Facebook, Instagram usw. werden aufgrund ihrer Schnelllebigkeit häufig als „Affektmedien“ genutzt, das heißt die kurzfristig vorhandene Emotion überlagert beim Veröffentlichen der einzelnen Kommentare die meist erst später einsetzende Vernunft. Die digitale Welt sei grundsätzlich eine höchst narzisstische, in der Selbstdarstellung einen hohen Stellenwert besitze. In der Kommunikation mit Jugendlichen ist vor allem die Bildsprache von Bedeutung, aber auch eine gewisse Portion Ironie, wie Heinzlmaier mit einigen anschaulichen Beispielen verdeutlichte. Fakt sei, das viele junge Zielgruppen Medien simultan nutzen. Die Inhalte der Nachrichten sind oft nicht so wichtig wie die Glaubwürdigkeit des Absenders. In Summe stellen die digitalen Kommunikationswelten für Kinder, Jugendliche, Eltern und mit Jugendlichen Arbeitende alleine schon aufgrund ihrer großen Vielfalt eine große Herausforderung dar, der man als erwachsene Bezugsperson am besten durch Zuwendung und Anbieten von Alternativen (bei Kindern) bzw. durch Begleitung (bei Jugendlichen) bestehen kann.


Der zweite Vortrag des Tages wurde von Frau Dr. Meropi Tzanetakis gestaltet. Sie forscht derzeit am Institut für Kriminologie und Rechtssoziologie der Universität Oslo und beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Bereich Online-Drogenhandel. Die Ausführungen und Studienergebnisse von Meropi Tzanetakis verdeutlichten, dass die in der breiten Öffentlichkeit vorherrschenden Meinungen nicht immer der Realität entsprechen. Das vielzitierte „Dark Net“ gewinnt zwar als Drogenmarktplatz an Bedeutung, dennoch ist der digitale Handel im Vergleich zum realen Straßenhandel verhältnismäßig gering und macht auch nur einen eher geringen Anteil der Aktivitäten im verschlüsselten Web aus. Die Top 3 des Dark Net seien die Bereiche Filesharing (legaler Inhalte wie Fernsehserien oder Musik) mit 29%, geleakte Dokumente (28%)und Finanzbetrug (12%). Die über einen der größten und bekanntesten Marktplätze im „Dark Net“ erzielten Umsätze liegen laut Tzanetakis bei etwa 100 Millionen Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Im „realen“ Drogenmarkt werden alleine in Europa rund 28 Milliarden umgesetzt. Interessant ist auch, dass die Käufer von Drogen im Internet vorwiegend junge Männer sind, die auch meist über Matura verfügen. Bei den gekauften Substanzen liegen laut den Recherchen von Tzanetakis Stimulanzien (z.B. Amphetamine, Methamphetamin) an erster Stelle, gefolgt von Cannabis, Opioiden und Ecstasy (MDMA). Nüchtern betrachtet bieten Online-Plattformen für die Konsumenten den Vorteil, dass weniger Gewalt als bei Straßengeschäften im Spiel ist, und die Substanzen oft einen höheren Reinheitsgehalt haben. Die Nachteile liegen ebenso auf der Hand: Neben der fehlenden Garantie auch tatsächlich die bestellten Substanzen in der erhofften Qualität zu erhalten, sind sich die Besteller oft nicht der weitreichenden strafrechtlichen Konsequenzen ihrer Handlungen bewusst.

Genau diese Aspekte hat Dr. Martin Feigl vom Verein TakeYourRights in seinem Vortrag beleuchtet. Der Wiener Rechtsanwalt hat verdeutlicht, was viele Konsumenten nicht wissen: Wer verbotene Substanzen über das Internet bestellt – und hier ist es egal, ob im Dark Net oder im offen zugänglichen Online-Markt – der läuft Gefahr wegen Drogenhandels angeklagt zu werden. Denn die meisten Drogen, die über das Internet bestellt werden, befinden sich außerhalb Österreichs. Somit liegt eine Einfuhr aus dem Ausland vor und daraus folge eine Strafdrohung bis zu fünf Jahren Haft, egal ob die Substanzen zum Eigengebrauch, als Sammelbestellung oder tatsächlich zur Weitergabe bestellt wurden. Und erwischt werden meist die Konsumenten, da die Händler irgendwo im Ausland sitzen. Weitere zentrale Aspekte des spannenden Vortrags waren auch die Themen Grenzmengen, Entzug von Gewerbeberechtigungen und Führerschein. Auch diese Punkte werden vielfach aus Leichtsinn nicht bedacht. Aufgrund der oft niedrigeren Preise werden nicht selten gleich höhere Mengen bestellt und somit häufig strafrechtlich relevante Grenzmengen überschritten. Zudem geht die Staatsanwaltschaft bei Bestellungen über das Darknet meist von höheren Reinheitsgehalten aus – und somit auch von einem höheren Strafrahmen. Die Klienten von takeyourrights seien deswegen aber keine Kriminellen, sondern in der Regel jungen Menschen, denen die erwähnten Konsequenzen nicht bewusst waren. Wer auf diese Weise mit dem Gesetz in Konflikt kommt, sollte dann zumindest sein Rechte kennen – wie zum Beispiel das Grundrecht, eine Aussage zu verweigern, oder das Recht zu wissen, ob man zu einer polizeilichen Anhörung als Zeuge oder als Beschuldigter geladen wird.

Nach einer Mittagspause widmete sich Mag. (FH) Andreas Reiter, MA vom Institut Suchtprävention dem Thema „Drug-Channels auf YouTube & Co.“ Andreas Reiter, der kurzfristig für Dr. Henrik Jungaberle, der aus privaten Gründen seine Teilnahme absagen musste, eingesprungen war, präsentierte einige Beispiele so genannter „Drug-Channels“ und User-Foren, die mitunter für Jugendliche als Sozialisationsinstanz und Drogen-Infoquelle dienen. Über die Bedeutung dieser Medien für konsumierende Jugendliche und den Versuch einer vertrauens- und faktenbasierter Einflussnahme auf die Channel Hosts wurde im Anschluss mit Statements anwesender Experten im Publikum, wie etwa Christoph Lagemann, Leiter des Instituts Suchtprävention, diskutiert und daraus Chancen und Risiken sowohl für den Bereich Prävention als das Beratungs-Setting herausgefiltert.

Dass die zunehmende Digitalisierung gerade auch den Bereich der Jugendarbeit vor neue Anforderungen stellt, konnte auch Dr. Hemma Mayrhofer, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien im anschließenden Beitrag verdeutlichen. Anhand qualitativer Fallstudien in drei österreichischen Jugendeinrichtungen erarbeitete sie eine Bestandsaufnahme und Analyse der neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit "e-youth work" in der Offenen Jugendarbeit. Diese sind durch mehrere Faktoren gekennzeichnet. Soziale Medien wie Snapchat, Instagram, Facebook etc. zählten zu den neuen Risiken des Heranwachsens. Die Fachkräfte in der Jugendarbeit stehen dabei vor der Notwendigkeit, ihre Arbeitsformen den veränderten Lebenswelten der Jugendlichen anzupassen. Die breite fachliche Auseinandersetzung hierzu befindet sich in Österreich zugleich noch relativ am Anfang. Die wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt, dass professionelle Jugendarbeit digitale Soziale Medien nutzen kann, und zwar sowohl für Interaktion als auch für Intervention, wobei die Nutzungsweisen in der Praxis derzeit noch sehr unterschiedlich und von Unsicherheit geprägt seien. Denn diese stehen nicht selten in Konflikt mit den in der Jugendarbeit wichtigen Grundsätzen Vertraulichkeit und Anonymität.

Den Abschluss der Jugendtagung 2018 bildete die Vorstellung eines mutigen Präventionsprojekts gegen Extremismus. Fabian Reicher, BA, Sozialarbeiter bei der Wiener Streetwork-Einrichtung Back Bone – Mobile Jugendarbeit 20, präsentierte das Online-Filmprojekt „Jamal al-Khatib - Mein Weg!". Es handelt sich dabei um ein Peer to Peer Projekt gegen islamistische Propaganda. Anhand persönlicher Erzählungen von jugendlichen Aussteigern aus der jihadistischen Szene wurden vier Videos gedreht, die den zahlreichen und professionell produzierten Propagandamitteilungen, die in Social Media Kanälen kursieren, alternative Botschaften entgegensetzten. Die Videos wurden über die Social Media Plattformen Facebook, Youtube und Twitter veröffentlicht und konnten dabei beachtliche Reichweiten erzielen. Noch wichtiger waren aber die in der Szene entstandenen Diskussionen, die Alternativen aufzeigen konnten und vor allem den betroffenen Jugendlichen eine Möglichkeit boten, Position zu beziehen. Eine dieser Botschaften lautete: Es gibt nicht nur einen strafenden Gott, es gibt auch den barmherzigen Gott, der verzeiht – und es gibt nicht nur Konfrontation und Negativereignisse, sondern auch mindestens ebenso viele positive Beispiele eines Miteinanders – auch über religiöse Grenzen hinweg. In einer zweiten Phase des Projekts wird in Kürze auch ein pädagogisches Handbuch zu den Videos veröffentlicht, die gemeinsam mit Workshops angeboten werden.

Die Präsentation von Fabian Reicher war jedenfalls ein würdiger Schlusspunkt zu einer insgesamt überaus spannenden Tagung, die im Grunde weit über das Thema Jugend(arbeit) hinausgegangen ist. Die Digitalisierung, aber auch die Ökonomisierung, prägt unsere Gesellschaft immer stärker und Erwachsene haben stärker denn je eine Verantwortung gegenüber ihren Kindern und den nachfolgenden Generationen. Die Herausforderungen – gerade im Heranwachsen – sind aktuell sicher nicht geringer geworden als in früheren Zeiten. Die persönlichen Entwicklungsaufgaben, aber auch die Rahmenbedingungen (Stichwort leistbares Wohnen, soziale Freiräume, etc.) sind schwierig, aber auch vielfältig, bunt und keineswegs hoffnungslos.

 

Text: Günther Ganhör

 

Weiterführende Infos:

Fotos und Vortragsfolien zur Jugendtagung 2018

Videobeiträge des Bildungs-TV

Beitrag auf ORF-ON: Drogenumschlagplatz Darknet