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QUELLE: http://www.praevention.at

13.09.2022

Stellungnahme zum Thema Nikotinbeutel

Als Reaktion auf das Negativ-Image der Zigarette und auf die Einführung strengerer Tabakgesetze setzt die Tabakindustrie für den österreichischen Markt in jüngerer Vergangenheit in verstärktem Maße auf so genannte “Next Generation Products” oder „Reduced Risk Products“. Dazu gehören u.a. tabakfreie Nikotinbeutel. Diese Produkte werden aufgrund des fehlenden Tabaks als „clean“ beworben. Sie sind rauchfrei, geben dabei aber trotzdem einen „Nikotin-Kick“ ab. Sie funktionieren über Trägersubstanzen wie Zellulose, die mit Nikotinsalzen angereichert sind. In der Mundhöhle unter der Ober- oder Unterlippe platziert, wird das Nikotin über die Mundschleimhaut aufgenommen.

Die Nikotinbeutel („Pouches“) können diskret immer und überall konsumiert werden. „Nic-Bags“ werden als moderne, trendige und vor allem gesundheitsbewusste Alternative zu Tabakprodukten wie Snus oder herkömmlichen Zigaretten vermarktet. Die damit verbundenen Werbebotschaften zielen mit ihrer Platzierung auf Social Media Kanälen von Influencern oder im Rahmen von Popkonzerten, (Trend)Sport-Events usw. jedoch auf ein vorwiegend junges Publikum ab, das in den meisten Fällen ohnehin sehr wenig oder überhaupt noch keine Erfahrung mit Tabakprodukten gesammelt hat. Dies ist möglich, weil Nikotinbeutel gesetzlich nicht unter das Tabak- und Nichtraucherschutzgesetz fallen - und somit auch nicht unter das damit verbundene Werbeverbot.

 

Dr. Rainer Schmidbauer, Leiter des Instituts Suchtprävention der pro mente OÖ hat dazu eine klare Meinung: „Aus unserer fachlichen Sicht ist die Entwicklung im Bereich der Nikotinbeutel, aber auch anderer so genannter „Next Generation Produkte“ überaus besorgniserregend. Sie konterkarieren die jahrzehntelange Arbeit der Suchtprävention in Österreich sowie die Bemühungen, die Raucherraten und die damit verbundenen gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schäden zu reduzieren, indem sie vor allem Kinder und Jugendliche in eine neue Form der Nikotinabhängigkeit und somit auch zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko führt.“

 

Warum ist diese Entwicklung gefährlich?

Nikotinbeutel enthalten einen zum Teil sehr hohen Nikotingehalt. Ein Säckchen enthält meist zwischen 4 und 11 Milligramm Nikotin. Es gibt aber auch Sorten, die 20 Milligramm Nikotin und mehr enthalten. Zum Vergleich: Eine Zigarette enthält etwa 12 Milligramm Nikotin, wobei beim Rauchen ungefähr 10 % des Nikotins tatsächlich inhaliert und über die Lunge und in den Blutkreislauf bzw. ins Gehirn transportiert wird.

Wie Untersuchungen des Deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) gezeigt haben, wird beim Konsum von Nikotinbeutel mindestens die Hälfte des Nikotins im Beutel aufgenommen.[1]

Der Konsum eines durchschnittlichen „Nic-Bags“ mit einem Gehalt von 8 mg Nikotin entspricht etwa jener Nikotinmenge, für die man mindestens drei Zigaretten rauchen muss![2]

Mit den Nikotinbeuteln wird also deutlich mehr Nikotin im Körper aufgenommen als beim Rauchen einer Zigarette. Vor allem bei Erstkonsumenten von Nikotinbeuteln kann es aufgrund hoher Nikotingehalte zu Überdosierungen und Nikotinvergiftungen kommen. Diese reichen von leichten Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen bis zu schweren Vergiftungserscheinungen wie etwa Atemproblemen oder einem Kreislaufkollaps.

Vor allem für Kinder können Nikotinvergiftungen (zum Beispiel durch Verschlucken von Nikotinbeutel) sogar lebensbedrohlich sein!

 

Nikotin ist eine schnell und hochgradig abhängig machende Substanz. Abgesehen vom hohen Suchtpotenzial, gilt Nikotin aber auch ohne Tabak als Gesundheitsrisiko:

  • So spielt Nikotin eine zentrale Rolle für eine schlechte Wundheilung
  • Nikotin steht auch ohne Kombination mit Tabak im Verdacht, Krebs zu verursachen
  • Die Hinweise auf die Rolle von Nikotin bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen mehren sich.

 

Unserer fachlichen Einschätzung nach soll der Vergleich mit dem Schädlichsten – verbranntem Tabak – nicht über die Schädlichkeit anderer Konsumformen von Nikotin hinwegtäuschen.

 

Tabak- und Nichtraucherschutzgesetz: Realität hat den Gesetzgeber überholt

 

Bei der letzten grundlegenden Novelle des „Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetzes“ (TNRSG) im Jahr 2016 traf der österreichische Gesetzgeber Vorkehrungen, um die Realität des Marktes widerzuspiegeln. So sind ausdrücklich „Tabakerzeugnisse“ aller Art, aber auch „Verwandte Erzeugnisse“ und E-Zigaretten unter das Regime des TNRSG gestellt. Doch die Realität hat in der Zwischenzeit den Gesetzgeber überholt. Die neue Produkt-Kategorie der Nikotinprodukte ohne Tabak, die nicht erhitzt werden, wurden nicht vom TNRSG erfasst, weil es sie bei Erarbeitung dieser Novelle noch nicht gab. Sie sind daher weder Tabakprodukte noch E-Zigaretten noch andere Produkt-Kategorien wie Kautabak.


Diese rechtliche Situation führt dazu, dass diese neuen Nikotinprodukte nicht der Regulierung und Kontrolle unterliegen, die ihrem Gefährdungspotenzial entsprechen.

 

Für Konsument*innen bedeutet dies unzureichenden Schutz:

  • Die Dosis des Nikotins in Nikotinbeuteln unterliegt keinen gesetzlichen Kontrollen
  • Es gibt keine gesetzliche Produktsicherheit hinsichtlich Nikotindosis, Inhaltsstoffen, Kennzeichnung und vielem mehr.

 


Auch der gesetzliche Jugendschutz und das Verbot von Werbung und Sponsoring greifen dadurch nicht.So dürfen diese Nikotinprodukte beworben und vermarktet werden als seien sie risikolose Konsumprodukte.

 

Die konkrete Art der Werbung lässt darauf schließen, dass auch Jugendliche und junge Erwachsene Zielgruppe sind. Nikotinbeutel gab es zur Zeit der letzten Überarbeitung der Jugendgesetze noch nicht am Markt. Sie dürfen theoretisch an jedes Kind verkauft werden. Die Verkaufsstellen machen zwar freiwillige Selbstverpflichtungen, aber es gibt dazu keine gesetzliche Verpflichtung und keine Kontrollen.

 

Forderung:

„Wir schlagen vor, vorausschauend und entsprechend den Entwicklungen dem Jugendschutzgesetz in Oberösterreich auch jene Produkte automatisch zu unterstellen, die zur Nikotinaufnahme bestimmt sind, aber nicht als pharmakologisches Produkt definiert sind. Wichtig ist dabei, auch synthetisch hergestelltes Nikotin einzubeziehen.“, bringt Dr. Rainer Schmidbauer eine zentrale Forderung der Suchtprävention auf den Punkt.

 

 

Aktuelle Bildungsangebote zum Thema Nikotin am Institut Suchtprävention:

 

 

 

Quellen und weiterführende Infos:

 

 


[1] Gesundheitliche Bewertung von Nikotinbeuteln (Nikotinpouches) – Aktualisierte Stellungnahme Nr. 042/2021 des BfR vom 21. Dezember 2021

[2] Beim Rauchen von drei Zigaretten werden ca. 3,6 mg Nikotin (1,2 mg pro Zigarette) aufgenommen.